Urteile

Urteile aus dem Medizin- und Wirtschaftsrecht

Honorarärzte im Krankenhaus sind regelmäßig sozialversicherungspflichtig

Arzte, die als Honorarärzte in einem Krankenhaus tätig sind, sind in dieser Tätigkeit regelmäßig nicht als Selbstständige anzusehen, sondern unterliegen als Beschäftigte des Krankenhauses der Sozialversicherungspflicht.
Bei einer Tätigkeit als Arzt ist eine Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht von vornherein wegen der besonderen Qualität der ärztlichen Heilkunde als Dienst „höherer Art“ ausgeschlossen. Entscheidend ist, ob die Betroffenen weisungsgebunden bzw. in eine Arbeitsorganisation eingegliedert sind. Letzteres ist bei Ärzten in einem Krankenhaus regelmäßig gegeben, weil dort ein hoher Grad der Organisation herrscht, auf die die Betroffenen keinen eigenen, unternehmerischen Einfluss haben.
So sind Anästhesisten bei einer Krankenhaus-Operation in der Regel Teil eines Teams, das arbeitsteilig unter der Leitung eines Verantwortlichen zusammenarbeiten muss. Auch die Tätigkeit als Stationsarzt setzt regelmäßig voraus, dass sich die Betroffenen in die vorgegebenen Strukturen und Abläufe einfügen. Im Leitfall war die Arztin wiederholt im Tag- und Bereitschaftsdienst und übenwiegend im OP tätig.
Hinzu kommt, dass Honorarärzte bei ihrer Tätigkeit ganz übenwiegend personelle und sachliche Ressourcen des Krankenhauses nutzen, also nicht anders als beim Krankenhaus angestellte Arzte vollständig in den dortigen Betriebsablauf eingegliedert sind. Unternehmerische Entscheidungsspielräume sind bei einer Tätigkeit als Honorararzt im Krankenhaus regelmäßig nicht gegeben.
Ein etwaiger Fachkräftemangel im Gesundheitswesen hat keinen Einfluss auf die rechtliche Beurteilung des Vorliegens von Versicherungspflicht. Sozialrechtliche Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht können nicht außer Kraft gesetzt werden, um eine Steigerung der Attraktivität des Berufs durch eine von Sozialversicherungsbeiträgen „entlastete“ und deshalb höhere Entlohnung zu ermöglichen.

Bundessozialgericht, Urteil vom 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R und weitere
– Entscheidungen offenbar noch nicht veröffentlicht –

Ärztin klagt erfolgreich gegen Nachbesetzungsentscheidung

Bei der Nachbesetzung einer vertragsärztlichen Praxis (hier Einzelpraxis) hat der Zulassungsausschuss gemäß § 103 Abs. 4 und 5 SGB V den Praxisnachfolger unter mehreren Bewerbern nach folgenden Kriterien auszuwählen: berufliche Eignung, Approbationsalter, Dauer der ärztlichen Tätigkeit, Dauer der Eintragung in die Warteliste, Wille zur Fortführung der Praxis. Die Bevorzugung eines Bewerbers mit abgeschlossenem Praxisübernahmevertrag kommt nicht in Betracht. Unbeachtlich ist auch, mit welcher „Zielstrebigkeit“ ein Bewerber sich um eine vertragsärztliche Tätigkeit bemüht.

Bei der Nachfolgeregelung ist deren Zweck, den wirtschaftlichen Wert der Arztpraxis zu erhalten und eine kontinuierliche Versorgung zu gewähren, zusätzlich zur Geeignetheit des Bewerbers zu beachten. Anderenfalls ist die Auswahlentscheidung des Zulassungsausschusses rechtswidrig. Das gilt darüber hinaus für den Fall, dass der ZA den Sachverhalt unvollständig ermittelt.

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.12.2018 – L 11 KA 86/16
https://t.ly/2Pp8R

Zur Rechtzeitigkeit des Nachbesetzungsantrags eines MVZ

Die Rechtsprechung des BSG, dass ein MVZ einen Nachbesetzungsantrag in Bezug auf eine Arztstelle nach § 103 Abs. 4a S. 3 SGB V (i.d.F. des GKV-VStG vom 22.12.2011 ; heute: § 103 Abs. 4a S. 5) nur innerhalb einer Frist von sechs Monaten (bzw. höchstens einem Jahr bei einer Fristverlängerung in besonderen Fällen) stellen kann, steht mit dem GG in Übereinstimmung.

Ein Antrag nach § 103 Abs. 4a S. 3 SGB V ist erst dann in vollständiger Form gestellt, wenn ihm alle notwendigen Unterlagen (einschließlich des Anstellungsvertrags) beigefügt worden sind.

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 28.08.2019 – L 3 KA 12/18
https://t.ly/p8kn9

Wiederholte Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens muss schutzwürdig sein

Eine wiederholte Antragstellung auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 3a SGB V, unmittelbar einer erstmaligen Antragstellung folgend, ist nicht ausgeschlossen, muss jedoch schutzwürdig und darf nicht willkürlich sein. Willkürlich und mit dem Sinn und Zweck von § 103 Abs. 3a S. 1 i.V.m. Abs. 4 S. 1 SGB V nicht zu vereinbaren ist es, wenn in dem Fall, dass sich zunächst kein Bewerber findet, mehrfach hintereinander Anträge auf Durchführung eines Nachfolgeverfahrens solange gestellt werden, bis es zu einer Nachfolge kommt. Eine solche Perpetuierung des Antragsverfahrens ist nicht schutzwürdig. Letztendlich hat der Vertragsarzt das Risiko der Möglichkeit einer Veräußerung seiner Praxis zu tragen.

Die Beurteilung, wann eine Vertragsarztpraxis nicht mehr fortführungsfähig ist, hängt vom Einzelfall ab. Maßgeblich für die Beurteilung der Fortführungsfähigkeit ist der Zeitpunkt der Antragstellung auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens. Je länger eine Praxis nicht betrieben wird, umso mehr spricht dafür, dass eine Fortführungsfähigkeit nicht mehr besteht.
Zum Vorhandensein eines ausreichenden Praxissubstrats gehört unverzichtbar ein Stamm aus GKV-Patienten, die in Behandlung standen und bei denen die ärztlichen Leistungen über die KV abgerechnet wurden. GKV-Patienten, die als Selbstzahler behandelt werden, zählen nicht zu diesem Patientenstamm.

Sozialgericht München, Urteil vom 06.11.2019 – S 38 KA 162/18
– veröffentlicht unter juris.de –

Gemeinschaftspraxis ohne Betten ist keine Klinik

Einer Praxis mit auf die Diagnostik und Therapie von Stimmstörungen spezialisierten Fachärzten für HNO-Heilkunde und für Phoniatrie ist die Werbung mit der Angabe „Stimmklinik“ untersagt, wenn sie keine Übernachtungsmöglichkeit für ihre Patienten bereithält.

Denn der Verbraucher versteht unter einer Klinik ein Krankenhaus oder zumindest eine Abteilung eines Krankenhauses mit Betten für eine stationäre Versorgung auch über Nacht. Daher ist die Verwendung des Klinik-Begriffs für eine Praxis ohne Betten irreführend. Dass international der Begriff einer „Voice Clinic“ als gebräuchlich gilt, spielt dabei keine Rolle. Dies gilt auch für die Kooperation einem Krankenhaus, der es der Praxis ermöglicht, jederzeit Patienten dort einzuweisen. Denn bei der Aufnahme der Patienten in einer kooperierenden Klinik handelt es sich nicht um eine stationäre Versorgung durch die Praxis selbst.

Landgericht Hamburg, Urteil vom 15.11.2019 – 315 O 472/18
https://t.ly/eMvd3